Die sieben Todsünden und ihre Wandlung

Auszug aus einem Interview mit OM C. Parkin

OM, worin besteht die Sünde des Menschen? Kann man von einer alle Menschen umfassenden Ursünde sprechen oder hat jeder Mensch ausschließlich seine eigenen Sünden, die er begeht?

OM   Das einfache Verständnis von Sünde, welches im Denken der Masse der Menschen herrscht, bezeichnet bestimmte Eigenschaften oder Handlungen von Menschen als Sünden. Das sind Dinge, die sie mit ihren körperlichen Augen sehen können. Für einen durchschnittlichen äußeren Menschen, der das Konzept von Moral für die höchste Instanz hält, ist diese beschränkte Perspektive auch ausreichend. In Wirklichkeit ist die sichtbare Ebene völlig unzureichend, um erstens die individuelle Sünde zu erkennen, und zweitens, um überhaupt Sünde von Nicht-Sünde zu unterscheiden. Die moralische Wahrnehmung könnte bestimmte Handlungen als Sünde brandmarken, obwohl sie in Wirklichkeit aus einer nicht sündhaften Quelle entspringen. 

Innere Lehren richten sich an innere Menschen; das sind Menschen, deren Wahrnehmung die für alle sichtbare Oberfläche verlassen hat, ohne dass sie geleugnet wird. Sie vermitteln ein Wissen über Sünde, die nicht mehr an sichtbaren Handlungen oder Verhaltensweisen festgemacht werden kann. Die Tiefendimension der Sünde reicht in die unsichtbare geistige Welt persönlicher Ideen hinein und führt am Ende zum Gedanken „Ich“ selbst. Das persönliche Ich eines Menschen ist ein leidvolles Missverständnis über die eigene Natur. Der identifizierte Gedanke „Ich“ führt in den Zustand der Trennung, der Dualität. Dualität ist die Ursünde des Menschen, sie wird von allen Menschen geteilt. Die etymologische Bedeutung von Sünde ist Absunderung, ein Begriff für Dualität. Wenn dieses Missverständnis endgültig durch Realisation behoben ist, gibt es keine Sünde mehr und auch die vermeintlich sündigen Eigenschaften kehren ganz natürlich in ihren Urzustand zurück, ohne dass ein Ich sich darum bemühen müsste, ein sündenfreies Leben zu führen. 

Was ist eine Todsünde?

OM   Im christlich-katholischen Sinne eine tiefgreifende, egoistische Leidenschaft, die den Menschen dazu verleitet, letztlich vor Gott verdammt zu sein. Von katholischer Moral enthoben, bezeichne ich sie als zentrale emotionale Versuchungen des Ichs mit schwerwiegenden, leidvollen Konsequenzen.
Eine weitere Betrachtungsweise wäre, die Todsünden als missratene Versuche des Ichs zu beschreiben, das verlorene Paradies wiederzufinden. Es sind Kompensationsversuche des Ichs für einen tiefgreifenden Seinsverlust.

Der vollständige Artikel wird im Sonderheft der Zeitschrift „Visionen“ im November 2024 erscheinen. Eine frühere Fassung des Artikels ist im advaitaJournal Nr.10 mit dem Titel „Das Böse“ veröffentlicht. Dieses kann im Online-Shop von advaitaMedia erworben werden.