
Als mich im Jahr 2004 mein innerer Weg zu OM führte und ich direkt begann, erste Seminare zu besuchen, begegnete mir das spirituelle Enneagramm zum ersten Mal. Ich nahm an 2-3 Wochenenden in der damaligen Fortbildung in Hamburg teil und bekam einen ersten Geschmack davon, was es heißt, Selbsterforschung zu betreiben. Ich fand es sehr spannend und irgendwie aufregend, bekam ich doch eine Ahnung davon, dass es hier um die Bereitschaft ging, meinen Schatten zu begegnen, dem was ich jahrzehntelang gut unter Verschluss gehalten hatte, mir selbst und anderen gegenüber. Noch ging die meiste Energie darein, ein Selbstbild aufrechtzuerhalten.
Später dann, in Saunstorf, besuchte ich die erste 3-jährige Ausbildung, die hier vor Ort stattfand. Und nun wurde deutlich, dass es hier um einen Geist ging, ein ganzes Netzwerk von Konditionierungen, Mustern, tief eingeprägten inneren Haltungen und Überzeugungen, letztlich alles Überlebensstrategien. Und mit diesem Geist bin ich identifiziert und sage Ich dazu. Ich sah, dass jeder Mensch in seiner eigenen geschlossenen Blase gefangen ist, die wir auch Fixierung nennen. Nach und nach entschlüsselte sich mir ein komplexes geniales System, welches der Unterscheidungskraft dient, dieses angenommene Ich vom wahren natürlichen Wesen unterscheiden zu lernen. Aber ich mache mir nicht vor, schon alles, was das Ennegramm in der Tiefe beinhaltet, ergründet zu haben. Das Lernen und Ent-decken und die Vertiefung geht weiter. Ich bin froh, die Lehre des Spirituellen Enneagramm durch OM vermittelt zu bekommen, denn ich sehe, dass das Enneagramm sich in der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten sehr ausgebreitet hat. Aus einer sehr alten, umfassenden Geheimlehre wurde dann ein verflachtes, verwässertes System, wo jeder mal schnell im Internet einen Test machen kann und dann seine Fixierung ausgerechnet bekommt.
In meiner Arbeit mit Klienten ist das Enneagrammwissen immer als Fundament oder als Hintergrundwissen in mir präsent. Wesentlich ist für mich dabei, mich selber nicht zu vergessen, was immer wieder schnell geschehen kann. Mir hilft das Wissen um meine eigene Fixierung und wie sie wirkt und welche Fallen sie hat. Mich selber fühlend wahrzunehmen ist Voraussetzung dafür, offen für mein Gegenüber zu sein. Die Gefahr besteht immer, zu sehr an den Worten zu kleben und dem, was zwischen den Worten durchscheint, spürbar und fühlbar ist, keine Aufmerksamkeit zu schenken. Geistige Haltungen drücken sich auch energetisch aus.
Offenheit ist ein großes Thema, das schon beginnt, wenn der Klient den Raum betritt: was für eine Energie kommt mir da entgegen und wie ist die Resonanz in mir? Manchmal zeigt sich schon sehr deutlich eine der 3 Grundenergien bzw. der inneren Bewegungen: Hin, weg oder gegen. Dennoch weiß ich inzwischen aus Erfahrung, dass zu schnelle Festlegungen hinderlich sind, den Blick verengen und Offenheit verloren geht. Grundsätzlich ist es sehr befreiend für fast alle Menschen, zu hören, dass Fixierungen angenommen wurden und dass wir hier etwas erforschen, dass wir in Wahrheit nicht sind. Gleichzeitig wird in der Erforschung deutlich, wie stark die Verklebung, die Identifikation ist. Und das kann ja auch erst mal gar nicht anders sein. Vor allem durch Zuhören und Nachfragen eröffnet sich die Leidenswelt des jeweiligen Menschen, und hierbei hilft das Wissen um die 7 Schlüssel, mit der jede der Fixierungen aufgespürt werden kann. Für mich ein sehr wertvolles Werkzeug. Nach und nach kann ein diffuses Leiden eingeordnet werden und plötzlich wird klar, warum mir immer und immer wieder das gleiche geschieht: Ja, das ist es, was ich immer vermeide, das ist es, was ich anstrebe, dieser Gedankenform hänge ich immer wieder an usw. In dem Moment entsteht Raum, Licht scheint in die Dunkelheit des inneren Gefängnisses. Es erfordert einen großen inneren Schritt, allerdings meist viele kleine, dafür die Verantwortung zu übernehmen und zu erkennen: ich mache das alles selber, bedeutet: ich bin kein Opfer. In diesem Prozess zeigt sich, wie sehr wir am Leiden hängen, denn es ist weitaus bequemer, Opfer zu sein als allein in der Verantwortung zu stehen. Der Wunsch nach innerer Freiheit, den viele Menschen mehr oder weniger in sich spüren, vor allem Menschen, die sich in die Nähe eines spirituellen Lehrers begeben, hat einen hohen Preis. Wer bin ich, wenn ich all diese Krücken, die mir das Enneagramm aufzeigt, mehr und mehr loslasse?
In meiner Begleitung dieser Prozesse spielt auch die Wissensvermittlung über diese Zusammenhänge eine wichtige Rolle; neben dem fühlenden Durchleben und den Momenten des klaren Sehens braucht es auch ein Verstehen, braucht es Hintergrundwissen.
Auch in den Meditationsangeboten, in denen ich hier im Kloster mitwirke und die ja auch kurze Einzel- bzw. Gruppengespräche beinhalten, kommt mir das Enneagramm zugute. Wie bewegt sich ein Mensch, wie spricht er, was weht mich energetisch an? Im Sehen entstehen in mir z.B. bestimmte Fragen, die tiefer führen können und, genauso wichtig, Mitgefühl entsteht, wenn das Leiden sichtbar und spürbar wird. Mein Gegenüber ist ein Spiegel für mich, mal vertraut, mal weniger vertraut, und die Herausforderung ist, nah dran zu sein ohne mich zu verlieren.
Der wahre Wert des spirituellen Enneagramm liegt nach meinem Verständnis darin, dass es letztlich über die Fixierung hinausgeht, dass es eingebettet ist in etwas Größeres. Wir können uns bewusst werden, wie unser Ich versucht, die 3 großen Kräfte (Schöpfen, Bewahren, Zerstören) zu vereinnahmen und sie nach unserem Eigenwillen zu missbrauchen. Wir halten uns selber klein und verhindern damit, dass sich die Tore der Befreiung zeigen, die Kräfte, welche z.B. in dem Potential der Archetypen liegen, die uns das Enneagramm ja auch aufzeigt.
Das Lernen hört nie auf, daran darf ich mich immer wieder erinnern, wenn mein nach Perfektionismus strebender Geist glaubt, schon alles wissen zu müssen. Jetzt erinnere ich mich an einen Satz, den ich vor Jahren nach einer Assistenz in der Schule schrieb: „Lernen dürfen bedeutet Glück.“
Weitere ausführliche Informationen zu der Enneagramm-Fortbildung findest du hier >